Hexen & Wahn

Magie, Chaos und Frauenfeindlichkeit - ein Streifzug durch die schreckliche Frühe Neuzeit: Es mangelte an Nahrung, doch nicht an ziegenreitenden, fliegenden Hexen.

geschichte
19.06.2023
Schinderhannes, 18th century German robber
Bist du schon einmal einer Hexe begegnet? Vielleicht hast du mal eine im Edeka gesehen, als sie sich gerade einen neuen Besenstiel gekauft hat? Oder vielleicht im Mauerpark, während eines Hexensabbats? Wahrscheinlich eher nicht.
Während der frühen Neuzeit wäre das aber gar nicht so unwahrscheinlich gewesen! In Europa und Nordamerika soll es in den Städten und Dörfern nur so von Hexen gewimmelt haben!

Hexen in Deutschland 🧙🏻‍♀️

Die Jahre 1450 bis 1750 markieren die Zeit des Hexenwahns in Europa, der zu verheerenden Urteilen und Hinrichtungen von mehr als hunderttausenden Menschen führte, von denen die meisten Frauen waren (oft ältere und auch ärmere Frauen).
Während zu dieser Zeit in ganz Europa und Nordamerika Hexenprozesse stattfanden, wurden die meisten Veruteilungen und Hinrichtungen in den deutschen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs vollzogen (also in den Gebieten, die heute Deutschland sind).
Das macht die Hexenverfolgung zu einem sehr wichtigen Ereignis in der deutschen Geschichte. Und in diesem Artikel werden wir uns das ein wenig genauer ansehen!
Map of the Holy Roman Empire, during the 16th Century

des Heiligen Römischen Reiches im 16. Jahrhundert

Die Frühe Neuzeit in Europa 💀

1. Klimawandel & Hungersnot

Die Menschen im Europa des Spätmittelalters und der Frühe Neuzeit wurden von Naturkatastrophen wie der Pest, Hungersnöten und der kleinen Eiszeit geplagt. Die kleine Eiszeit war eine Periode besonders kühlen Klimas, welche die Ernten der Bauern ruinierte und dadurch zu schrecklichen Hungernöten führte. In dieser Zeit verarmten & verhungerten sehr viele Menschen oder wurden schwer krank.
Viele Historiker meinen, dass die Menschen damals einen Sündenbock brauchten, um sich so ihr Leid und Elend erträglicher zu machen und eine Erklärung für ihr schreckliches Schicksal zu haben. Was könnte der Grund für das schlechte Wetter und die mickrigen Ernten sein? Magie!
🌳Das Märchen von Hänsel & Gretel
Interessanterweise soll das Märchen von "Hänsel & Gretel" genau zu dieser Zeit entstanden sein. Viele Menschen wussten in diesen schwierigen Zeiten nicht mehr weiter und haben drastische Maßnahmen ergriffen - wie z.B. die eigenen Kinder im Wald auszusetzen, um nicht auch selbst zu verhungern.
1303 - 1860 Kleine Eiszeit
(The Little Ice Age)
1346 - 1353 Die Pest
(The Black Death)
1486 Heinrich Kramer veröffentlicht 'Malleus Maleficarum' 📖
1517 - 1648 Reformation
(The Reformation)
1545 - 1648 Gegenreformation
(The Counterreformation)
1581 - 1593 Hexenprozesse in Trier (≈ 1000 Tote) 🔥
1603 - 1606 Hexenprozesse in Fulda (≈ 250 Tote) 🔥
1618 - 1648 Dreißigjähriger Krieg
1626 - 1631 Hexenprozesse in Bamberg (≈ 1000 Tote) 🔥
1626 - 1631 Hexenprozesse in Würzburg (≈ 900 Tote) 🔥
1631 Friedrich Spee veröffentlicht 'Cautio Criminales' 📖
1715 - 1789 Zeit der Aufklärung
1775 Deutschlands letzter Hexenprozess (Anna Maria Schwegelin)

Totentanz, Bernt Notke, 1475 / 1499

Totentanz, Bernt Notke, 1475 / 1499


2. Heidentum, Christentum & das Malleus Maleficarum

Obwohl sich das Christentum bereits ab dem 8. Jahrhundert in den deutschen Gebieten ausbreitete, war es sehr schwierig, die vorher heidnischen Rituale und Traditionen auszurotten. Diese blieben noch Jahrhunderte lang bestehen.
Im deutschen Heidentum gab es damals sogenannte 'Seherinnen'. Das waren weise Frauen mit übernatürlichen Zauberkräften. Sie waren Vorläuferinnen des späteren, mittelalterlichen Begriffs der Hexe. Im Gegensatz zu einer Hexe war eine Seherin jedoch oft ein hoch angesehenes Mitglied der Gesellschaft, das ihrer Gemeinschaft mit Rat und Tat zur Seite stand.

Die germanische Göttin Freja - John Bauer, 1905

Hexenszene, David Teniers, 1610-1690

Mit dem Aufkommen des Christentums wurde die Ausübung von Magie mit dem Teufel in Verbindung gebracht. Die heidnischen Seherinnen wurden nun als böse Hexen angesehen und Zauberei als ketzerisch erklärt und verboten.
Sehr einflussreich für diesen Wandel war ein Buch namens 'Malleus Maleficarum' des Theologen Heinrich Kramer. Es wurde erstmals 1486 veröffentlicht und war eine Art Handbuch für die Hexenjagd, in dem die Verurteilung und Folterung von Hexen, bei denen es sich oft um Frauen handelte, gerechtfertigt wurde. Es war fast zwei Jahrhunderte lang nach der Bibel das weitverbreitetste Buch, das in den deutschen Gebieten verkauft wurde.

«Schlecht also ist die Frau von Natur aus, da sie schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben ableugnet. Das ist die Grundlage für die Hexen.»

Malleus Maleficarum, Heinrich Kramer - Theologe & Proto-Incel 💩

3. Reformation, Gegenreformation & religiöse Kriege

Die Reformation und die Gegenreformation fanden während des Hexenwahns im 16. und 17. Jahrhundert statt. Sie waren der Auslöser für eine Reihe von Religionskriegen, darunter der Dreißigjährige Krieg (1618 - 1645), in dem schätzungsweise acht Millionen Menschen starben; das waren damals zwischen 25 und 45 Prozent der deutschen Bevölkerung.
Der ständige Zustand religiöser Konflikte und Instabilität erzeugte eine Atmosphäre des Hasses und des Misstrauens unter den Menschen. Dadurch wuchs der Hass auf Hexen & Magie, was schließlich zu einer fieberhaften und ungehemmten Hexenjagd führte.

"Christus als Erlöser mit Martin Luther", Lucas Cranach der Ältere, 1555 - ein Maler, welcher heute stark mit der Reformation assoziiert wird.

Woran man eine Hexe erkennt 🪄

Das Zusammenspiel dieser Faktoren schuf einen fruchtbaren Boden für Hass & Hexenwahn. Doch woran erkennt man eine Hexe?
Dem 'Malleus Maleficarum' zufolge waren Hexen in der Regel Frauen. Um eine Hexe zu werden, verkauften sie ihre Seelen an den Teufel, der sie mit vielen Tricks & falschen Versprechen dazu verführte. Sobald der Vertrag dann unterzeichnet war, stattete der Teufel die Hexe mit übernatürlichen Kräften aus. Von dann an verrichtete sie seine schmutzige Arbeit, indem sie ihre Nachbarn mit Flüchen und dunklen Zaubersprüchen bestrafte und Unheil in der Umgebung anrichtete.
Was genau hat eine Hexe ausgemacht? ⚡️
  • die Fähigkeit, sich zu verwandeln (z.B. in Tiere)
  • auf Besenstielen, Ziegen oder Zäunen durch die Luft zu fliegen
  • sich auf Hexensabbats zu treffen & Zaubertränke zu brauen
  • Menschen zu essen (bevorzugt kleine Kinder)
  • Sex mit dem Teufel zu haben
Die Unterdrückung der Frauen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit machte sie leider zu leichten Zielen. Ältere und ärmere Frauen waren besonders gefährdet. Sie durften generell nicht arbeiten (außer als Spinnerin oder Hebamme), und waren für ihre finanzielle Stabilität und Respekt weitgehend auf den Ehemann angewiesen. Alleinlebende Frauen und Witwen waren daher oft zu einem Leben in Armut verdammt und wurden mit Misstrauen betrachtet. Man nahm sie als verbitterte, rachsüchtige Außenseiter wahr. Dies machte es den Menschen leicht, sie als Hexen zu verdächtigen.
🧙🏻‍♂️Auch interessant:
Obwohl Hexen in der Regel Frauen waren, konnten auch Männer und Kinder der Hexerei beschuldigt werden.

Hexen, Hans Baldung, 1508

Strafen für Hexerei 🔥

Hatte man eine Hexe einmal erfolgreich identifiziert, wurde sie angeklagt und inhaftiert. Es wurde dann von ihr erwartet, dass sie ihre Verbrechen gestand, damit man ihre Seele 'retten' konnte. Das Geständnis wurde natürlich in der Regel durch Gewalt & Folter erzwungen. Nachdem das Geständnis dann abgelegt war, wurde die vermeintliche Hexe zum Tode verurteilt und häufig auf einem öffentlichen Scheiterhaufen verbrannt.

Illustration von Diepold Schilling, 1513
Illustration von Diepold Schilling, 1513
Walpurga Hausmannin
  • Leben:1527-1587
  • Familienstatus:Witwe
  • Beruf:Hebamme
  • Gestandene Verbrechen:Verkauf ihrer Seele an den Teufel; Sex mit dem Teufel; Kochen & Essen von Babys (zusammen mit dem Teufel); Ermordung der Kinder, die sie als Hebamme betreute
  • Strafe:Verbrennung auf dem Scheiterhaufen

Gemälde von Anton Graff, 1765-1766

Das Ende des Hexenwahns 🕯

Nach hunderten Jahren der Verfolgung verlor der Hexenwahn jedoch allmählich an Kraft und in der Öffentlichkeit schwand der Wille, weitere Hexen zu verfolgen. Außerdem waren die protestantische und die Gegenreformation zu einem Ende gekommen, und es herrschte größere politische und soziale Stabilität. Schließlich brach im 17. Jahrhundert das Zeitalter der Aufklärung an und mit ihm das Konzept des Rationalismus, das die Hexerei schnell als abergläubisch und unsinnig abtat. Infolge dieser Entwicklungen kam der Hexenwahn zu einem Ende ✨.

Hexenwahn in deutscher Geschichte & Kultur 🥨

Obwohl der Hexenwahn im 18. Jahrhundert endete, lebt das Konzept der Hexe weiter und ist tief in der westlichen Kultur verankert. Hier sind nur einige Beispiele dafür, wie präsent Hexen heutzutage noch sind und wo wir ihnen begegnen können:

Hänsel und Gretel, Alexander Zick, 1845-1907
Hänsel und Gretel, Alexander Zick, 1845-1907
1. Hänsel und Gretel
Dieses Märchen wurde erstmals in der berühmten Märchensammlung 'Kinder- und Hausmärchen' der Brüder Grimm veröffentlicht, welche 1812 erschien. Darin scheint die Figur der Hexe weitgehend von den volkstümlichen Vorstellungen einer Hexe im Mittelalter inspiriert zu sein: eine alte Frau, die einsam im Wald lebt und hungrig nach Kindern ist.
Hexe, Albrecht Dürer, 1505
Hexe, Albrecht Dürer, 1505
2. Walpurgisnacht
In Deutschland und anderen Teilen Europas galt die Walpurgisnacht als eine Nacht, in der sich die Hexen auf dem Brocken - dem höchsten Gipfel des Harzes - versammelten, um an einem teuflischen Sabbat teilzunehmen. Auch heute noch werden in einigen Teilen Deutschlands zu diesem Anlass Feuer entzündet, um böse Geister und Hexen zu vertreiben. In Bayern wird der Anlass manchmal Hexennacht genannt, und die Menschen verkleiden sich für die Nacht als Hexen und Dämonen.
Walpurgisnacht, Luis Ricardo Falero, 1878
Walpurgisnacht, Luis Ricardo Falero, 1878
3. Goethes Faust
In Goethes wohl bekanntestem Stück 'Faust' - gibt es einen Teil, der ganz der Walpurgisnacht gewidmet ist. Die Titelfigurwird hier auf den Gipfel des Brockens gebracht, wo Hexen und böse Geister an einer Orgie teilnehmen, um den Teufel zu feiern. Hier wird Faust von Mephistopheles (dem Teufel) aufgefordert, an den bösen Feierlichkeiten teilzunehmen, indem er mit einer nackten Hexe tanzt.